100 Jahre Weihnachtstagung – Stimmen
Zwischen Weihnachten und Silvester 2023 wurde das 100. Jubiläum der Neugründung der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum gefeiert. Diese besondere Tagung wurde ausgerichtet vom Goetheanum in Zusammenarbeit mit der Schweizer Landesgesellschaft und von über 1.000 Menschen aus 40 Ländern besucht. Im Zentrum stand Steiners „Grundsteinspruch“, der sowohl eurythmisch und sprachlich als auch inhaltlich immer wieder thematisiert wurde. Für diesen Beitrag wurden mehrere Stimmen deutscher Teilnehmenden gesammelt zu der Frage: Welche Begegnung, welcher Gedanke oder Beitrag war für mich auf der Weihnachtstagung wesentlich?
Ein Highlight der Weihnachtstagung war der Morgenvortrag des ersten Tages über die Anthroposophische Gesellschaft, den Pim Blomaard und Rik ten Cate auf unkonventionelle Weise, mit viel Humor und bewegender Einfühlsamkeit gehalten haben. Mit der Versenkung des Grundsteins des ersten Goetheanums 1913 bildete sich eine Lichtsäule in die geistige Welt. Mit der Grundsteinlegung des zweiten Goetheanums bei der Weihnachtstagung 1923 bildete sich eine Wärmesäule, die nun erwärmend die Welt umschloss. Blomaard und ten Cate sprachen über neue Wege der Anthroposophischen Gesellschaft in den Niederlanden und wie aufgrund einer warmherzigen Gastfreundschaft die Mitgliederzahlen wachsen. Als Geschenk für das Goetheanum übergaben sie ein kupfernes Doppeldodekaeder, das Rik ten Cate in seiner Werkstatt angefertigt hatte. Als Geschenk für die Weltbewegung übergaben sie ein kleineres kupfernes Doppeldodekaeder, das von jetzt an durch die Welt reisen soll, auf Einladung, wenn ein wichtiger Anlass in einem Land stattfindet. So wird der Grundstein nicht nur als Licht und Wärme in unserem Herzen, sondern auch als tatsächliche soziale Verbundenheit in allen Himmelsrichtungen um die Welt gehen. Auf dass es gut werde, was wir aus Herzen gründen.
— Olivia Girard, Berlin
Vielleicht am meisten hat mich die Begegnung mit zwei jungen Frauen in der Fachgruppe „Zu den verwandelnden Begegnungen mit dem Hüter der Schwelle – der Weg durch die 19 Stunden des Erkenntnisweges der Michaelschule“ berührt: Die eine war eine junge Eurythmiestudentin aus Kolumbien. Sie war in der Ausbildung zur Heileurythmistin in Dornach und wollte diesen Impuls zurück in ihre Heimat tragen. Die andere war eine Chinesin, die mit ihrer 16-jährigen Tochter zur Teilnahme an der Weihnachtstagung angereist war. Als ich fragte, wie sie die Anthroposophie kennengelernt habe, sagte sie: „Die gehört einfach zu mir, es gab keinen Anlass.“ – Wie hoffnungsvoll, dass junge Menschen von so weit her aus West und Ost sich der Anthroposophie und der Hochschule verbunden fühlen!
— Sören Schmidt, Freiburg
Etwas eingequetscht in der Mittagspause – und leider auch entsprechend schlecht besucht – stellten die Sektionen der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft jeden Tag ihre Forschungsvorhaben vor. Da wird gearbeitet! Von der Wirksamkeit kleinster Entitäten und Best-Practice-Erfahrungen in der Landwirtschaft über die vier Ätherarten und die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus bis hin zu der Frage der Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie wird geforscht – empirisch, im Sinne qualitativer Sozialforschung, geschichtlich oder hermeneutisch. Nicht alles ist geistige Forschung, aber alles inspiriert von geistig orientierten Fragestellungen. Zukunftskraft strahlten diese Darstellungen aus, und so wie die Sektionen ihre Lebensfelder 100 Jahre lebendig gehalten haben, wird ihnen das so unternehmungslustig und gemeinsam mit den weltweiten Initiativen auch weitere 100 Jahre gelingen! Einen Einblick in die Forschungsvorhaben gibt es hier: https://goetheanum.ch/de/nachrichten/einblicke-forschungsvorhaben-der-sektionen
— Anna-Katharina Dehmelt, Frankfurt
Ein besonderer Moment der Weihnachtstagung war für mich die Eingebundenheit des Ganzen in die Eurythmie: Am Morgen wurde der Grundstein in vier verschiedenen Sprachen aufgeführt und am Abend führten uns vier eurythmische Ausklänge in die nächtlichen Gefilde. Dabei war das Bemerkenswerte, dass die Eurythmie nicht nur – wie sonst oft – ein schönes „Anhängsel“ war, sondern versucht wurde, zwischen ihr und den Abendvorträgen einen Zusammenhang herzustellen, sie in den thematischen Ablauf einzubinden. So gab es z.B. einen Text von Alanus ab Insulis nach dem Vortrag zur Schule von Chartres, passend eingebunden in zwei Stücke von Johann Sebastian Bach. Nach dem letzten Vortrag, in dem es um die Zukunft der Anthroposophie und der Anthroposophischen Gesellschaft ging, wurden „Drei kleine Stücke“ für Violoncello und Klavier von Anton Webern aufgeführt. Ca. 12 Eurythmisten machten sehr eindrucksvoll diese „sparsame“ Musik sichtbar, indem sie nicht nur das Hörbare sondern vor allem auch die Pausen dazwischen sichtbar und erlebbar machten. Das war wahrhaft zukünftig und half, das „Übergängliche“, die Schwelle wirklich zu erleben. So trug die Eurythmie elementar dazu bei, die vielen verschiedenen Eindrücke des Tages und der Tagung zu verarbeiten und in sein Inneres aufzunehmen.
Auch am Morgen bekam die Eurythmie durch die Demonstrationen am Grundsteinspruch ihren Raum. Eindrücklich war hier, wie das Wesen der jeweiligen Sprache in den verschiedenen Gebärden der Lauteurythmie deutlich wurde. Und so wie uns am Abend die Eurythmie an die Schwelle heranführte, hatten diese Sprach-Erlebnis-Momente eine mehr stärkende und inkarnierende Wirkung zum „Ankommen“ am Morgen. Einen großen Dank an die Eurythmisten, Sprecher und Organisatoren, die uns mit diesem durchdachten „Griff“ beschenkten.
— Rosina Breyer, Unterlengenhardt
Allein, dass sich das Goetheanum mit einem vollen Saal, mit 1.000 Teilnehmenden aus 40 Ländern, präsentierte, zeichnete die Weihnachtstagung 2023 als ganz besonderes Ereignis aus. Die Welt war versammelt, mit einem Vierzigstel der Mitglieder der weltweiten Anthroposophischen Gesellschaft. Das Bewusstsein dessen, in welchem Kulturstrom wir uns befinden, wurde in Vorträgen weit zurückgeführt in die Historie der Mysterien, nach Ephesus, über die zentrale Bedeutung der Schule von Chartres bis in die zukünftigen Perspektiven eines Entstehungsprozesses der Geisteswissenschaft aus der Naturwissenschaft heraus, ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen sein wird. 100 Jahre als Entstehungsmoment der anthroposophischen Geisteswissenschaft zu sehen, welch hoffnungsvolle Herausforderung!
— Gerhard Stocker, Witten
Pim Blomaard und Rik ten Cate plädierten lebendig und kraftvoll für eine Stärkung der Willkommenskultur der Anthroposophischen Gesellschaft. Eine Interesse und Wärme ausstrahlende AG könnte zunehmend spirituell suchende Menschen zu einem Dialog anziehen, der Häupter erleuchtet und Herzen erwärmt. Das wäre der realiter noch wenig vollzogene Schritt von einer rein vertikalen Orientierung zu einer horizontalen, innerste Esoterik mit größtmöglicher Öffentlichkeit verbindenden Haltung. Die Weihnachtstagung 1923/24: Wann wird sie beginnen?
— Detlef Hardorp, Berlin
Was war wesentlich? Wesentlich waren für mich die Gespräche, die sich an den kreativen Beitrag von Pim Blomaard und Rik ten Cate zur Anthroposophischen Gesellschaft anschlossen. Ein Dreischritt anthroposophischer Arbeit leuchtete perspektivisch auf:
- Anthroposophie möchte inhaltlich gedanklich immer wieder neu in der Seele auferstehen;
- Anthroposophie möchte zwischen Menschen dialogisch sich entfalten und kann ein individuelles Aufwachen bewirken;
- und jetzt sagt Pim: „Wir möchten Anthroposophie zelebrieren!“ Zelebrieren war hier ganz real gemeint als das Schaffen der Bedingungen dafür, dass die mit dem anthroposophischen Inhalt verbundenen geistigen Wesen anwesend, leuchtend und kraftend wirken können in der Gemeinschaft und durch sie. „Jedes Wort in der Anthroposophie ist im Grunde genommen, wenn es in richtigem Sinne gesprochen wird. ein Bitte, eine andächtige Bitte: die Bitte, dass der Geist zu den Menschen herabkommen möge.“ (Rudolf Steiner) Eine Ahnung dämmert, wohin Anthroposophische Gesellschaft im 21. Jahrhundert sich übend entwickeln könnte.
— Matthias Bölts, Hamburg
Constanza Kaliks bezog sich bei der 100-Jahre-Weihnachtstagung mit folgender Aussage sinngemäß auf Nicolaus Cusanus: „Ohne Sehnsucht nach Geisterkenntnis gibt es keine Erkenntnis des Geistes. Und ohne Geisterkenntnis gibt es keine Sehnsucht nach dem Erkennen des Geistes.“ Diese gegenseitige Bedingtheit belebte einerseits die Tagung und lebt andererseits im Grundsteinspruch selbst.
— Eberhard Schuhmacher, Bodensee
Die Weihnachtstagung war für mich eine Besinnung auf den Grundstein. Intensiv, wie in dem gleichnamigen Buch von Bernard Lievegoed geschrieben, stand die „Grundsteinmeditation“ im Zentrum der Tagung. Dass von den holländischen Freunden dann noch der Grundstein als Plastik erschien, hat diesen Eindruck verstärkt.
— Julian Schily, Dortmund
Ein wesentliches Motiv für mich war, einfach dabei zu sein. Die Neugründung der Gesellschaft vor 100 Jahren war ein Meilenstein in der damals noch jungen Geschichte der Anthroposophischen Bewegung. Eine sehr freie Gesellschaft zusammen mit einer nun deutlicher konturierten Hochschule für Geisteswissenschaft entstand – ein Boden, auf dem die gesamte anthroposophische Bewegung in allen ihren Ausprägungen sich immer weiter entwickeln konnte und schon wichtige Impulse geleistet hat. Diese Gedenkstimmung an die zurückliegende Gründung, an manchen Stellen durchsetzt mit vagen Zukunftsperpektiven, begleitete mich durch die Tage. Ich nehme aus der Tagung zwei dringende Zukunftsfragen mit: Welchen Beitrag zur menschlichen und gesellschftlichen Weiterentwicklung können die mit der Anthroposophie verbundenen Menschen tatsächlich konstruktiv leisten und wie kann dies deutlicher spür- und sichtbar werden?
— Sebastian Knust, Stuttgart