Vorbemerkung: Die hier veröffentlichten Texte und Zitate orientieren sich fast im Wortlaut am „Frankfurter Memorandum – Rudolf Steiner und das Thema Rassismus“, das im Jahr 2008 von den Autoren Ramon Brüll und Dr. Jens Heisterkamp verfasst wurde und im Originaltext, sowie in mehreren Übersetzungen HIER zur Verfügung steht [1].
Die Behauptung, der Gründer der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861 – 1925) sei Rassist gewesen oder habe rassistisch gefärbte Ansichten vertreten, wird seit vielen Jahren in kritischen Publikationen, aber auch in Medienberichten immer wieder vertreten. Dabei wird häufig gleichzeitig die Anthroposophie als Lehre und sozial-spirituelle Bewegung grundlegend in Frage gestellt. Diesen Vorwürfen stehen die Mitarbeiter anthroposophisch orientierter Einrichtungen in aller Welt gegenüber, die irritierende Äußerungen Steiners zum Thema „Rassen“ als irrelevant und – im Verhältnis zu den zentralen anthropologischen Beiträgen Steiners – als völlig marginal einstufen. Ein vernünftiges Gespräch zwischen diesen beiden Interessentengruppen wird durch fundamentalistische Emotionen auf beiden Seiten bisher eher behindert: von der einen Seite wird ein vollständiges „Abschwören“ von einer angeblich überholten Gründerfigur verlangt, während auf der anderen Seite apologetisch jeder noch so abseitig wirkende Wortlaut Steiners verteidigt wird. Hier muss dringend ein Dialog geführt werden, wenn die immer wieder aufbrechende Debatte auf einen sachlichen Boden zurückgeführt werden soll.
Bei diesem Anliegen ist bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in den für Diskriminierungsfragen besonders sensiblen Niederlanden wichtige Vorarbeit geleistet worden, als 1996 unter Leitung des Menschenrechtsexperten Dr. Th. A. van Baarda eine Fachkommission das Gesamtwerk Steiners auf eventuelle rassistische Äußerungen hin untersucht hat. Die so entstandene Studie [2] verfolgt dabei einen Ansatz, der die kritisierten Äußerungen Steiners nicht allein aus dessen Werkkontext [3] zu erklären versucht, sondern ihre Wirkung anhand objektiver rechtlicher und ethischer Kriterien misst. In ihrem Abschlussbericht stellte die niederländische Kommission fest, dass eine „Rassenlehre“ im Sinne einer Theorie, die die angebliche Überlegenheit einer Menschengruppe gegenüber anderen postuliert, bei Steiner nicht vorkommt. Wohl aber gibt es nach Angaben der Kommission in dem etwa 89.000 Seiten umfassenden Gesamtwerk Steiners einige wenige Stellen – die Kommission zählte 16 Zitate – die, würden sie von heutigen Autoren geäußert, aufgrund ihres diskriminierenden Charakters vermutlich sogar strafrechtliche Relevanz hätten. Bei weiteren 66 Zitaten handelt es sich nach Einschätzung der Kommission um minder schwere Fälle von Diskriminierung oder um missverständliche Äußerungen. Die Kommission folgte bei ihrer Einschätzung dem Grundsatz, dass es bei der Frage, ob ein Zitat beleidigend ist, nach allgemein gültigen Kriterien nicht auf die Absicht des Redners oder Autors, sondern vielmehr auf die Wirkung bei Betroffenen ankomme.[4]
In dem hier vorliegenden Auseinandersetzung soll ein ähnlicher, jedoch eigenständiger Weg eingeschlagen werden wie seinerzeit von der niederländischen Kommission. Die Autoren schöpfen dabei aus einer engagierten Verbindung mit dem Werk Rudolf Steiners, machen aber seine Akzeptanz nicht zur Voraussetzung für eine Beurteilung, sondern orientieren sich vor allem an allgemein anerkannten Kriterien der Nicht-Diskriminierung sowie Ergebnissen der historischen Rassismus-Forschung.
Im Blick auf problematische Äußerungen Steiners, die mit dem Thema „Rassen“ zu tun haben, haben sich dabei im Wesentlichen fünf verschiedene Gruppen herausgestellt:
Bei fast allen im Folgenden angeführten Beispielen handelt es sich um jene Textstellen, die auch im Rahmen öffentlicher Kritik angeführt wurden und werden. Für die vollständige Übersicht der inkriminierten Textstellen wird hier auf das Gutachten der niederländischen Kommission verwiesen (siehe Anmerkung 2), für den Kontext auch auf die entsprechenden Bände der Rudolf Steiner Gesamtausgabe.
[1] Über die Entstehung dieses Memorandum gibt der erste Anhang Auskunft. Die Verfasser sind Herausgeber der anthroposophischen Publikumszeitschrift „info3 – Anthroposophie im Dialog“. Ramon Brüll übersetzte seinerzeit das im Text erwähnte Niederländische Gutachten ins Deutsche. Dr. Jens Heisterkamp ist promovierter Historiker.
[2]Antroposofi e en het vraagstuk van de rassen. Eindrapport van de onderzoekcommissie. Herausgegeben von der Antroposofische Vereniging in Nederland, Zeist 2000. Deutsch erschienen als: Anthroposophie und die Rassismus-Vorwürfe. Der Bericht der niederländischen Untersuchungskommission „Anthroposophie und die Frage der Rassen“. Hrsg. Von Th. A. van Baarda. Mit einem Vorwort von Justus Wittich und einer Analyse nach deutschem Recht von Ingo Krampen. Autorisierte Übersetzung von Ramon Brüll, Frankfurt am Main 1998 (2. Auflage 2006)
[3] Einen hermeneutischen Ansatz vertreten z.B. Lorenzo Ravagli, Hans-Jürgen Bader u.a.: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismusvorwurf, Stuttgart 2002
[4] Seit einigen Jahren bereits folgt der für die Herausgabe des Werkes Steiners verantwortliche Rudolf Steiner-Verlag einer entsprechenden Empfehlung der Kommission und versieht bei anstehenden Neuauflagen von Büchern, in denen problematische Passagen enthalten sind, die in Rede stehenden Äußerungen Steiners mit einer kritischen Kommentierung.