Gesellschaft und Medizin im totalitären Zeitalter
Verlag des Ita Wegman Instituts, Arlesheim (CH) 2020
Woran liegt es, dass ein so moderner, innovativer, humanistischer und kosmopolitischer geistiger Arbeitsansatz, der nachweislich zu hervorragenden Resultaten führen kann, als rassistisch und antisemitisch öffentlich diffamiert wird?
Zum 100. Jubiläumsjahr der Anthroposophischen Medizin und nicht endenden Vorwürfen über den angeblichen Rassismus und Antisemitismus im Werk Rudolf Steiners, die zuletzt 2019 in den Zeitungsberichten über die Waldorfschulen erneut wiederholt wurden, geht die Veröffentlichung von Peter Selg dieser Fragestellung nach.
Selg beleuchtet in mehreren Kapiteln den zeithistorischen Kontext und Steiners Positionierungen zu unterschiedlichen Fragen: u.a. dem Antisemitismus, dem Zionismus, aber auch der klerikalen und rechtsradikalen Angriffen, denen die Anthroposophie ausgesetzt war.
Dass eine Antisemitismus-Kritik nach dem Holocaust eine andere zu seine hat, ist fraglos. Steiner positionierte sich klar gegen den Antisemitismus. Seine Ansichten über den Zionismus, den er nicht mit einer antisemitischen, sondern mit einer staatsphilosophischen Begründung kritisierte, wurde durch den Holocaust überholt. Die detailreichen Schilderungen belegen die Absurdität des Rassismus-Vorwurfs.
Die Unvereinbarkeit von Anthroposophie und Nationalsozialismus weist das Buch u.a. am Beispiel der anthroposophischen Anthropologie und der abgrenzenden Haltung von NS-Funktionären nach. Auch wird auf die anbiedernde und mindestens ambivalente Haltung mancher Anthroposophen gegenüber dem NS-Regime eingegangen. Selg zeigt aber auch, dass diese Haltung keineswegs repräsentativ war und verweist auf Ita Wegman und ihre Mitstreiter, die eine deutlich ablehnende Haltung gegenüber der NS-Ideologie einnahmen.
Dass in der anthroposophischen Heilpädagogik mutig und erfolgreich Menschen beispielsweise vor der Euthanasie bewahrt wurden ist besonders diesem Menschenkreis zu verdanken; sie waren auch außerhalb offizieller Zusammenhänge wirksam.
Zurück bleibt der Eindruck einer Publikation, die die Kritik und Diffamierungen gegenüber Rudolf Steiner und der Anthroposophie in ein Gesamtpanorama einordnet und die Kernintentionen Rudolf Steiners darstellt.
Selg, Peter. Rudolf Steiner, die Anthroposophie und der Rassismus-Vorwurf: Gesellschaft und Medizin im totalitären Zeitalter. Verlag Ita Wegman Institut. Dornach 2020. 1. Auflage.