Darüber kann man nur spekulieren. Tatsächlich ist auffällig, dass schon viele Anthroposoph:innen der ersten Generation einen jüdischen Hintergrund hatten. So der Ingenieur Carl Unger, der mit Marie von Sivers und Michael Bauer den ersten Vorstand bildete, der Naturwissenschaftler Ernst Lehrs, die Prager Intellektuelle Berta Fanta, in deren Salon auch Franz Kafka verkehrte, oder der Kabbala-Forscher Ernst Müller.
Man könnte vermuten, dass sie als Angehörige einer oft diskriminierten Minderheit die menschheitliche, kosmopolitische Grundrichtung der Anthroposophie besonders zu schätzen wussten, also ihre über-nationale Perspektive, die manche heutigen Steiner-Kritiker nicht sehen oder nicht sehen möchten. Ein anderer Grund könnte sein, dass Minderheiten häufig besonders aufgeschlossen sind gegenüber neuen, anspruchsvollen kulturellen oder wissenschaftlichen Entwicklungen. Auch an den damaligen Universitäten waren Juden, gemessen an ihren Bevölkerungsanteil, deutlich überrepräsentiert.
Ebenfalls bemerkenswert: Bis heute gibt es kaum irgendwo eine solche Dichte an Waldorfschulen wie in Israel.
— Wolfgang Müller