Biodynamisch in der NS-Zeit – Eine Auftragsstudie
Interview mit dem Forschungsteam Dr. Jens Ebert, Dr. Susanne zur Nieden und Meggi Pieschel. Zuerst erschienen im Fachmagazin von Demeter, Lebendige Erde 6-2023
Biodynamische Präparate auf dem Olympiarasen 1936, angeblich sogar Demeter-Gemüse für den „Führer“ in dessen Alpenresidenz, Kompostversuche im KZ: Über Verknüpfungen der bio- dynamischen Bewegung mit dem NS- Regime ist schon Einiges bekannt: was kann Ihre Studie Neues bringen?
Tatsächlich hat die biodynamische Bewegung im NS-Staat einige Spuren hinterlassen. Demeter-Gemüse aber gab es auf dem Obersalzberg wohl nie. Für unsere Studie sind z. B. Autobahnbegrünung oder Olympiarasen noch kein Indiz für politische Kompromittierung, sondern wichtige Hinweise, denen wir nachgehen. Neu an unserer Studie ist, dass sie umfassend und wissenschaftlich der Frage nach einer NS-Belastung der biodynamischen Bewegung nachgeht. Zwar war das Thema seit den 1980er Jahren immer wieder Gegenstand unterschiedlicher Publikationen – und nicht selten polemischer Debatten. Bisher wurde die biodynamische Geschichte allerdings nur bruchstückhaft oder als Randaspekt komplexerer Themenfelder dargestellt. Umso wichtiger war es, in dieser Studie von vornherein zu definieren, was wir aus heutiger Sicht unter „NS-Nähe“ verstehen. Diese und weitere Fragen haben wir regelmäßig mit einem fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirat diskutiert.
Die Studie hat einen wissenschaftlichen Anspruch – wie sind Sie und ihr Team vorgegangen?
Neben der obligatorischen Ermittlung des Forschungsstandes und einer möglichst breiten Quellenrecherche in Archiven und privaten Sammlungen haben wir auch jüngere Untersuchungen über die NS-Belastungen anderer deutscher Einrichtungen, wie des Landwirtschaftsministeriums[1], einbezogen. Die Studie differenziert zwischen erstens einer „formalen Belastung“, also Mitgliedschaften in als verbrecherisch eingestuften Organisationen und der NSDAP, zweitens der Belastung durch „konkrete Taten“, also Aktivitäten in dem als kriminell oder belastet einzustufenden Partei- oder Terrorapparat des NS-Staates und drittens einer „ideologischen“ bzw. programmatischen Übereinstimmung mit dem NS- System. Da der biodynamischen Bewegung immer wieder unterstellt wird, aufgrund „gleicher Wurzeln“ ein dem NS nahes Weltbild zu haben, wurde es notwendig, auch die Entstehungsphase beider Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts einzubeziehen.
Was war für Sie überraschend bei der Recherche?
Tatsächlich ist die unerwartet große Fülle des Quellenmaterials über die Biodynamiker allein im Bundesarchiv angesichts dieser verhältnismäßig kleinen Gruppe von insgesamt höchstens 2.000 Mitgliedern, die auch gesamtwirtschaftlich gesehen recht unbedeutend war, sehr erstaunlich. Dabei handelt es sich zum einen um mindestens 10.000 Seiten aus dem NS-Überwachungsapparat, ein weiterer Teil sind Akten aus Ministerien und NS-Stellen. Daraus geht hervor, dass die Biodynamische Bewegung bis in die höchste Parteispitze für Unruhe sorgte und zum Gegenstand von Machtkämpfen innerhalb der NS-Führung wurde.
Überrascht hat uns auch, dass in unserer Textanalyse von biodynamischen Schriften, selbst in jenen Texten, die nach 1933 explizit an NS-Stellen adressiert wurden, keine Zustimmung zu den zentralen NS-Ideologemen – Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Imperialismus und der Vernichtung „unwerten“ Lebens – enthalten sind.[2]
Sie haben sehr viele Quellen, aber vielleicht schon ein Bild: Ließ sich eine Kollaboration der Demeter-Institutionen mit der Diktatur feststellen, wie es manche behaupten?
Es steht außer Frage, dass die Mehrzahl der biodynamischen Mitglieder im Jahr 1933 mit der Gleichschaltung und Eingliederung ihrer Organisation in den NS-Apparat einverstanden war. Einzige Alternative wäre die Selbstauflösung gewesen. Tatsächlich kam es ab 1934 zu institutionellen Verknüpfungen, zunächst mit dem Amtsbereich von Rudolf Heß, ohne dessen Protektion die biodynamische Bewegung im NS-Staat nicht überlebensfähig gewesen wäre. Im Laufe der folgenden Jahre lässt sich ein Paradox feststellen: Während die programmatischen Texte anthroposophisch geprägt waren, gab es dennoch keine erkennbaren Vorbehalte, mit unterschiedlichen staatlichen oder NS-Behörden zu kooperieren.
Als sich ab 1939 auch führende Funktionäre des Reichsnährstands und der SS für die Biodynamische Wirtschaftsweise zu interessieren begannen, begriffen die Vorstände des Reichsverbands für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise dies als Chance, ihre eigene Mission – die Rettung des Bodens und des bäuerlichen Lebens – voranzutreiben. Es war wohl gerade der unbedingte Glaube an das Gute und Notwendige der eigenen Sache, sowie der Wunsch, gesellschaftlich wirksam zu sein, der die biodynamische Führung den rassistisch-verbrecherischen Kontext systematisch ausblenden ließ. Möglich, dass nach jahrelanger Marginalisierung und Drangsalierung durch die Gestapo seit dem Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft 1935 die Kooperation besonders verheißungsvoll schien. Trotz der Distanz zu nationalsozialistischen Ideologemen ließ sich dennoch ein ungebrochenes Vertrauen zum Staat und bei einigen Funktionären auch ein Glaube an die Person Adolf Hitlers feststellen. Radikalisiert durch den Krieg, glaubte der Reichsverband, biodynamische Konzepte wie die Betriebsautonomie für Deutschland im Krieg nutzbar machen zu können. In den Jahren 1940 und 1941 planten sowohl Reichsnährstand wie die SS weitreichende Kooperationen mit dem Reichsverband, die jedoch durch das Verbot 1941 nicht oder kaum zur Ausführung kamen.
Biodynamische Institutionen und Publikationen wurden 1941 verboten, leitende Personen kamen in Haft. Dennoch ließ die SS im Rahmen des Kräuteranbaus in mehreren ihrer Versuchsgüter mit biodynamischen Maßnahmen arbeiten bzw. dazu forschen. Wie passt das zusammen?
Mit dem Verbot des Reichsverbandes im Sommer endeten die institutionellen Kooperationen. Es war aber dem fortdauernden Interesse Himmlers an der biodynamischen Wirtschaftsweise geschuldet, dass einige wenige biodynamische Fachkräfte von der SS rekrutiert wurden, um bei den nun mehr oder weniger im Verborgenen weitergeführten biodynamischen Versuchen mitzuwirken. Auch wenn es sich um weniger als zehn Personen handelte, kann die Mitarbeit auf den SS-Gütern nur als Kollaboration bezeichnet werden. Franz Lippert musste sich nach 1945 als Einziger einem Entnazifizierungsverfahren stellen und wurde, wie die Mehrzahl der Deutschen, entlastet.
Neben Ravensbrück und den „prominenten“ DVA-Gütern im Umland, die von SS-Größen privat genutzt wurden, gab es im KZ Dachau den bekannten, euphemistisch „Kräutergarten“ oder „Plantage“ bezeichneten Bereich, Orte, an denen der verbrecherische Kontext des eigenen Tuns offen zu Tage trat. Hier gab es neben dem wirtschaftlich betriebenen Kräuteranbau biodynamische Forschungsarbeiten von Franz Lippert und Martha Künzel, zeitweise auch von Carl Grund. Ob in Ravensbrück einer der Voegele-Brüder arbeitete, konnte in den Akten nicht nachgewiesen werden.
Die Tätigkeit in den KZs erfolgte mit ausdrücklicher Billigung durch die abgesetzten Vorstände des aufgelösten biodynamischen Reichsverbands, Erhard Bartsch und Franz Dreidax. Es bestand zur Mitarbeit kein ausdrücklicher Zwang. Auch die enormen Ressourcen der SS, die man für die eigene Arbeit nunmehr nutzen konnte, mögen einen nicht unwesentlichen Anteil gehabt haben.
Erstmals werden in unserer Studie auch umfängliche Untersuchungen zu einem Versuchsgut in der Ukraine vorgestellt. Hier arbeiteten Carl Grund, der in Gestapo-Haft von der SS rekrutiert wurde, und Herbert Beichl. Ihr Vorgesetzter vor Ort war der ehemalige Leiter der biodynamischen Auskunftstelle Bayern, Alois Stockamp. Alle kamen hierher, als die jüdische Bevölkerung bereits ermordet worden war, müssen aber natürlich von den in ihrer Zeit vor Ort laufenden Vertreibungen der ukrainischen Bevölkerung und anderen Verbrechen gewusst haben.
Demeter und der biodynamischen Bewegung wird manchmal vorgeworfen, sie seien aufgrund ihres Natur- und Weltbildes tendenziell rechtsextrem, daher sei die Nähe zu Nazis naheliegend. Konnten Sie dafür Belege finden?
Uns erscheint diese Fragestellung verkürzt. Generell ist zu fragen, warum Menschen, die nicht Anhänger der NS-Ideologie waren, nach 1933 rasch bereit waren, mit dem NS-System meist unkritisch zusammenzuarbeiten, sich in dessen Strukturen einzuschreiben und damit ein verbrecherisches System zu stabilisieren. Dies taten auch Mitglieder der biodynamischen Bewegung, in einer Mischung aus Eigensinn und Opportunismus.
Tatsächlich sind die NS- und die biodynamische Bewegung etwa zur gleichen Zeit entstanden und teilten zeittypisch – übrigens mit zahlreichen anderen Reformbewegungen – ähnliche Auffassungen wie die Ablehnung des Kapitalismus, die Kritik an der zunehmenden Rationalisierung des Lebens oder allgemeine Zivilisationskritik.
Die Lösungsansätze gingen jedoch wie eine Schere auseinander: Während die zentralen Ideologeme des NS im Parteiprogramm fest verankert waren, spielten sie in den Schriften der biodynamischen Bewegung nachweislich weder vor noch nach 1933 eine Rolle. Dieser Befund ist umso erstaunlicher, da es unbestritten ist, dass sich im umfangreichen Werk Rudolf Steiners auch theosophisch-kosmisch unterlegte Rassismen und völkerpsychologische Vorurteile finden lassen. Solche Theorien spielten jedoch in den Texten der Biodynamischen Wirtschaftsweise keine Rolle und sie wurden auch nicht stark gemacht, um sich den NS-Machthabern anzudienen.
Quellen
[1] Horst Möller, Joachim Bitterlich, Gustavo Corni, Friedrich Kießling, Daniela Münkel, Ulrich Schlie: Agrarpolitik im 20. Jahrhundert. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und seine Vorgänger, Berlin/Boston 2020.
[2] Anders etwa als verschiedene deutsche theosophische Gruppen, die 1933 die Judenpolitik des NS gegen die Kritik nichtdeutscher Theosophen verteidigten. Vgl. Staudenmaier, Peter: Nazi Perceptions of Esotericism. The Occult as Fascination and Menace, in Ashwin Manthripragada ed.: The Threat and Allure of the Magical, Cambridge Scholars Publishing, 2013, 25-58.
Download Artikel (pdf) Demeter gegen Rechtsextremismus Website Demeter
Zur Studie
Der Forschungsring e.V. koordiniert zurzeit eine Studie, die von den drei Institutionen Demeter e.V., Biodynamic Federation -Demeter International, Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum - Freie Hochschule für Geisteswissenschaft, in Auftrag gegeben wurde: Die Geschichte der biodynamischen Bewegung und ihrer Protagonisten in der NS-Zeit soll umfassend und zusammenschauend auf wissenschaftlichem Niveau erforscht und dargestellt werden. Bisher gibt es dazu nur Anfängliches. Drei Fachwissenschaftler arbeiten seit Ende 2020 daran, begleitet von einem fünfköpigen wissenschaftlichen Beirat. Ein gesonderter kulturwissenschaftlicher Essay behandelt die Frage, ob Anthroposophie intrinsische Momente des Rassismus beinhaltet. Eine Veröffentlichung als Buch und als wissenschaftliche Publikation ist im ersten Halbjahr 2024 geplant.
Titel der Studie: Biodynamisch in der NS-Zeit. Die biodynamische Bewegung und Demeter, ihr Verhältnis zum NS-Regime. Akteure, Verbindungen, Haltungen